Darmbakterien, Süßstoffe und Glukose-Unverträglichkeit

17.09.2014

Eine neue Studie enthüllt, dass bestimmte Darmbakterien metabolische Veränderungen bei Einnahme von künstlichen Süßstoffen bewirken

Künstliche Süßstoffe, für die für Gewichtsverlust und zur Verhinderung von Diabetes geworben wird, könnten die Entwicklung von Glukose-Unverträglichkeit und metabolischen Krankheiten fördern, und zwar auf überraschende Weise: Sie verändern die Zusammensetzung und Funktion der Darm-Mikrobiota – der wesentlichen Bakterien in unserem Darm. Die Ergebnisse von Experimenten mit Mäusen und Testpersonen wurden heute in Nature veröffentlicht. Dr. Eran Elinav aus dem Fachbereich Immunologie am Weizmann Institut, der diese Forschungsarbeit gemeinsam mit Prof. Eran Segal aus dem Fachbereich Informatik und Angewandte Mathematik leitete, sagt, es könnte sein, dass der weit verbreitete Gebrauch von künstlichen Süßstoffen in Getränken und Speisen die auf der ganzen Welt weit verbreitete Fettsucht und Diabetes sogar fördern.

 
Jahrelang waren die Forscher über die Tatsache verwirrt, dass kalorienfreie künstliche Süßstoffe nicht zu Gewichtsverlust beitragen und einige Studien zeigten gar, dass sie sogar eine gegenteilige Wirkung haben. Der Student Jotham Suez in Elinavs Labor, der die Studie leitete und dabei mit den anderen beiden Studenten Tal Korem und David Zeevi in Segals Labor und Gili Zilberman-Shapira in Elinavs Labor zusammenarbeitete, entdeckte, dass künstliche Süßstoffe, obwohl sie keinen Zucker enthalten, dennoch einen direkten Einfluss auf die Fähigkeit des Körpers haben, Glukose zu nutzen. Glukoseintoleranz – die gewöhnlich auftritt, wenn der Körper mit großen Zuckermengen in der Ernährung nicht umgehen kann – stellt den ersten Schritt auf dem Weg zu einem metabolischen Syndrom und zu Diabetes bei Erwachsenen dar.
 
Die Wissenschaftler gaben Mäusen Wasser mit drei der am meisten verbreiteten künstlichen Süßstoffe – in genau den Mengen, wie sie die FDA zuläßt. Im Vergleich zu Mäusen, die Wasser oder gar Zuckerwasser tranken, entwickelten diese Mäuse eine Glukoseintoleranz. Bei Wiederholung des Experiments mit verschiedenen Mäusetypen und unterschiedlichen Süßstoffdosen gab es dieselben Resultate – diese Substanzen führten irgendwie zu einer Glukoseintoleranz.
 
Danach untersuchten die Forscher eine Hypothese, laut derer Darm-Mikrobiota in dieses Phänomen involviert sind. Sienahmen an, die Bakterien könnten dies möglicherweise veranlassen, indem sie auf neue Substanzen wie etwa künstliche Süßstoffe reagieren, die der Körper selbst nicht als "Nahrung" erkennt. Tatsächlich werden die künstlichen Süßstoffe nicht vom Magen-Darm-Trakt absorbiert, aber beim Durchlaufen treffen sie auf eine Billion Bakterien in der Darm-Mikrobiota.
 
Die Forscher behandelten Mäuse mit Antibiotika, um viele ihrer Darm-Bakterien auszulöschen; dies bewirkte eine vollkommene Aufhebung der Wirkungen künstlicher Süßstoffe auf den Glukosemetabolismus. Danach transferierten sie die Mikrobiota von Mäusen, die künstlichen Süßstoff aufgenommen hatten, auf "keimfreie" Mäuse, was eine vollständige Übertragung der Glukoseintoleranz auf die Empfängermaus zeigte. Hiermit konnte also deutlich bewiesen werden, dass Darm-Bakterien direkt verantwortlich sind für die schädlichen Wirkungen auf den Gastgeber-Metabolismus. Die Forschungsgruppe fand außerdem auch, daß die Inkubation von Mikrobiota außerhalb des Körpers gemeinsam mit künstlichen Süßstoffen ausreichte, um eine Glukoseintoleranz bei sterilen Mäusen zu bewirken. Eine detaillierte Charakterisierung von Mikrobiota in diesen Mäusen enthüllte grundlegende Veränderungen in der Bakterienbevölkerung, einschließlich neuer mikrobieller Funktionen, bekannt dafür, dass sie die Neigung zu Fettsucht, Diabetes und Komplikationen dieser Probleme sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen hervorrufen.
 
Funktionieren menschliche Mikrobiome auf dieselbe Weise? Elinav und Segal konnten auch dies testen. In einem ersten Schritt nahmen sie sich die in ihrem personifizierten Ernährungsprojekt (www.personalnutrition.org) gesammelten Daten vor, der bisher umfangreichste Test am Menschen, der die Verbindung zwischen Ernährung und Mikrobiota untersucht. Hier entdeckten sie eine bedeutende Verbindung zwischen selbst berichtetem Verbrauch von künstlichen Süßstoffen, der persönlichen Beschaffenheit der Darm-Bakterien und der Neigung zu Glukoseintoleranz. Dann führten sie kontrollierte Experimente durch, indem sie eine Gruppe von Volontären befragten, die gewöhnlich keine künstlich gesüßten Getränke oder Nahrungsmittel zu sich nehmen, solche eine Woche lang zu trinken und zu essen und dann sowohl ihre Glukose-Spiegel als auch die Zusammensetzung ihrer Darm-Mikrobiota testen zu lassen.
 
Die Testergebnisse zeigten, dass bei vielen – aber nicht allen – Testpersonen eine Glukoseintoleranz nach nur einer Woche mit künstlichen Süßstoffen begonnen hatte. Die Zusammensetzung ihrer Darm-Mikrobiota erklärte den Unterschied: Die Forscher entdeckten zwei verschiedene menschliche Darm-Mikrobiota – eine, die Glukoseintoleranz bewirkte, wenn sie künstlichen Süßstoffen ausgesetzt wurden, und eine andere, die keinerlei Einwirkung zeigte. Elinav ist überzeugt davon, dass bestimmte Darm-Bakterien bei denjenigen Testpersonen, die Glukoseintoleranz entwickelten, auf die chemischen Süßstoffe reagierten, indem sie eine Substanz absonderten, die dann eine entzündliche Reaktion ähnlich wie bei einer Zucker-Überdosis hervorrief, welche die Fähgikeit des Körpers verändert, Zucker aufzunehmen.
 
Segal: "Die Ergebnisse unserer Experimente heben die Wichtigkeit der personalisierten Medizin und Ernährung zugunsten einer allumfassenden Gesundheit hervor. Wir glauben daran, dass eine integrierte Analyse der individualisierten "big data" unserer Genome, Mikrobiome und Ernährungsgewohnheiten uns dazu befähigt, besser zu verstehen, wie Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel die Gesundheit einer Person und der Gefahr von Krankheiten beeinflussen."
 
Elinav: "Unsere Beziehung mit unseren eigenen Darm-Bakterien ist ein wichtiger Faktor in der Bestimmung wie sich Nahrung, die wir zu uns nehmen, auf uns auswirkt. Besonders eindrucksvoll ist die Verbindung zwischen dem Einsatz künstlicher Süßstoffe – durch die Bakterien in unserem Darm – und der Neigung, genau die Störungen hervorzurufen, die sie eigentlich unterdrücken sollen; das zeigt die Notwendigkeit einer Neubewertung des heute so weit verbreiteten massiven Verbrauchs dieser Substanzen."
 
An der Forschungsarbeit waren außerdem auch beteiligt: Christoph A. Thaiss, Ori Maza und Dr. Hagit Shapiro aus Elinavs Forschungsgruppe, Dr. Adina Weinberger aus der Segal-Forschungsgruppe, Dr. Ilana Kolodkin-Gal aus dem Fachbereich Molekulargenetik, Prof. Alon Harmelin und Dr. Yael Kuperman von dem Veterinary Resources Department, Dr. Shlomit Gilad von dem Nancy and Stephen Grand Israel National Center for Personalized Medicine, Prof. Zamir Halperin und Dr. Nov Zmora vom Tel Aviv Sourasky Medical Center und der Tel Aviv Universität, und Dr. David Israeli vom Kfar Shaul Hospital Jerusalem Center for Mental Health.
 

Dr. Eran Elinavs Forschungsarbeit wird finanziell unterstützt von der Abisch Frenkel Foundation for the Promotion of Life Sciences, dem Benoziyo Endowment Fund for the Advancement of Science, dem Gurwin Family Fund for Scientific Research; dem Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust, der Adelis Foundation, von Yael und Rami Ungar in Israel, dem Crown Endowment Fund for Immunological Research, von John L. und Vera Schwartz aus Pacific Palisades in Kalifornien, USA, der Rising Tide Foundation, von Alan Markovitz in Kanada, von Cynthia Adelson in Kanada, aus dem Nachlass von Jack Gitlitz, aus dem Nachlass von Lydia Hershkovich, dem Europäischen Forschungsrat, von CNRS – Centre National de la Recherche Scientifique, aus dem Nachlass von Samuel and Alwyn J. Weber und von Herrn und Frau Donald L. Schwarz in Sherman Oaks in Kalifornien, USA. Dr. Elinav hält den Rina-Gudinski-Lehrstuhl inne.

Prof. Eran Segals Forschungsarbeit wird finanziell unterstützt von dem Kahn Family Research Center for Systems Biology of the Human Cell, der Carolito Stiftung, dem Cecil and Hilda Lewis Charitable Trust, dem Europäischen Forschungsrat und von Herrn und Frau Donald L. Schwarz in Sherman Oaks, Kalifornien, USA.
 

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