Seltene Störungen scheinen etwas gemeinsam zu haben

28.06.2015

Diese Forschungsergebnisse können vielleicht bei der Diagnose und Behandlung einiger Immunsyndrome helfen

Eine vererbte Autoimmunkrankheit, von der man bisher annahm, dass es sich um eine besonders seltene Krankheit handelt, könnte in einer weniger ernsten Form einen oder mehr von je 1000 Menschen treffen. Dies zeigt eine neue Forschungsarbeit, die am Weizmann Institut in Israel und an der Unversität von Bergen in Norwegen durchgeführt wurde. Die Forschungsergebnisse, die heute im Magazin Immunity erschienen sind, suggerieren, dass es einige unterschiedliche Autoimmunerkrankungen und -syndrome gibt, die mit der Mutation eines einzigen Gens zusammenhängen könnten. Auch könnten die Forschungsergebnisse in Kombination mit anderen Forschungen am Weizmann-Labor zu neuen Wegen der Diagnose und Behandlung von Autoimmunstörungen verhelfen.

 

            Eine seltene Form der Erkrankung, das autoimmune Polyendokrinsyndrom vom Typ 1, ist rezessiv: Es tritt auf, wenn ein Kind zwei mutierte Versionen von AIRE (Autoimmunregulator-Gen) erbt, was dann zu einer verheerenden Konstellation medizinischer Probleme führt, angefangen voneinem Angriff auf und einer Zerstörung multipler Körpergewebe und –organe bis hin zu chronischen Infektionen. Genau wie alle Autoimmunkrankheiten tritt diese auf, wenn die Immunzellen des Körpers "selbst" als "fremd" einstufen und eben das eigene Körpergewebe angreifen. Dr. Jakub Abramson von der Immunologie-Abteilung am Weizmann Institut erklärt, dass ein gestörtes AIRE-Gen dazu imstande ist, soviele Organe zu beeinträchtigen, weil es die einzigartige Aufgabe hat, autoimmune Angriffe zu verhindern, indem es das Training der Immunzellen beaufsichtigt, die selbst fabrizierten Antigene zu ignorieren und nur die eindringenden Pathogene anzugreifen. Das AIRE-Gen ist fast ausschließlich nur in einem einzigen Organ – dem Thymus – präsent. In diesem kleinen Organ – das als Sondereinsatzkommando des Immunsystems fungiert – werden die T-Zellen einer Art "Grundausbildung" unterzogen bevor sie für ihre Verteidigungsaufgaben in den Blutkreislauf entlassen werden. Im Thymus fungiert AIRE in ungewöhnlichen Zellen, die sich medulläre Thymusepithelialzellen nennen, oder mTECs, die als "Tester" agieren und die T-Zellen checken, um sicherzustellen, dass sie nicht auf die tausenden Selbstantigene reagieren, die sich auf natürliche Weise im Körper befinden. Die mTECs tun dies, indem sie eine umfassende Genexpressionsbücherei  mit Ausdrücken von fast jedem Gen im Genom erstellen und die T-Zellen auf ihre Reaktion mit jedem dieser Gene testen. Jede Zelle, die einem Selbstantigen nachstellt, wird im Thymus zerstört bevor sie andere Organe erreicht. AIRE-Gene sind - genau wie ihr Name schon andeutet - verantwortlich für den gesamten Prozess. Sie kontrollieren den Ausdruck von tausenden Selbstantigenen im Thymus selbst, wie z.B. Insulin.

            Wenn aber Menschen Mutationen dieser beiden Kopien des AIRE-Gens haben, leiden sie an einem schwerwiegenden Autoimmunsyndrom, aber was ist mit denjenigen, die eine Mutation nur einer Kopie haben? Gewöhnlich sagen die Mediziner, dass die Krankheit in diesem Fall rezessiv ist, d.h. die Symptome treten nur auf, wenn beide Kopien des AIRE-Gens mutiert sind. Aber Abramson und Dr. Eystein S. Husebye von der Universität von Bergen haben diese weit verbreitete Auffassung widerlegt und haben zeigen können, dass sogar die Mutation einer einzigen Kopie eines AIRE-Gens ausreicht, um seine Funktion zu stören und die verheerende Autoimmunität zu bewirken. Der Grund ist, dass AIRE-Proteine sich aneinanderbinden, einen aktiven Komplex bilden und genau wie in anderen ähnliche Fällen eine bestimmte Mutation in einer Kopie ausreicht, um die Funktion eines ganzen Komplexes zu dominieren.

 

            Die Forschungsstudie entstand aus einer ungewöhnlichen klinischen Beobachtung im Labor von Husebye, in dem es bei einem Patienten mit einem Autoimmunsyndrom den Hinweis auf eine rezessive AIRE-Mutation gab.  Die Forschungsgruppe analysierte die Kinder dieses Patienten: Bei denjenigen, die eine einzige mutierte Kopie hatten, tauchte die autoimmune Störung ebenfalls auf, allerdings in einer schwächeren Form und auch nicht mit den Symptomen des rezessiven AIRE-Fehlfunktionssyndroms. Abramson und Husebye stellten die Hypothese auf, dass eine solche AIRE-Mutation häufig der Grund für autoimmune Störungen ist. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, führten die beiden Forschungsgruppen verschiedene Labortests durch und nahmen sich die medizinischen Daten vor, die in Norwegen, Finnland und Russland von Familien mit verschiedenen Formen der Autoimmunität gesammelt worden waren. Sie fanden heraus, dass zwar nicht bei allen, aber dennoch bei vielen von ihnen mit Mutationen in nur einer Kopie des Gens verschiedene autoimmune Syndrome und Störungen diagnostiziert wurden.

 

            Weiterführende Forschungen enthüllten, dass nur Mutationen an einer bestimmten Stelle auf dem AIRE-Gen das gesunde Gen dominieren. Interessanterweise wird das gesunde Gen nicht vollkommen negiert: Die dominante Version des Gens ist weniger schwerwiegend, tritt später im Leben auf und trifft weniger Organe als die rezessive Version, in der beide Kopien mutiert sind.

 

            Wieviele Personen könnten an der dominanten AIRE-Mutationsautoimmunkrankheit leiden? Auf der Grundlage genetischer Daten schätzen die Forscher, dass mindestens eine von 1000 Personen solche Mutationen haben. "Eine dominante AIRE-Störung könnte den Mechanismus einiger Autoimmunerkrankungen erklären," sagt Abramson.

 

            In einer anderen Untersuchung von AIRE, die kürzlich in Nature Immunology erschienen ist, haben Abramson und seine Forschungsgruppe entdeckt, dass der Masterregulator selbst von einem anderen Regulator reguliert wird – einem Gen, das sich Sirt1 nennt. Sirt-Gene sind überall im Körper aktiv und eine neue Studie hat gezeigt, dass sie in den Stoffwechsel, die Langlebigkeit und die Fruchtbarkeit involviert sind. Aber Abramson und seine Forschungsgruppe zeigten auch, dass mTECs über ein besonders hohes Niveau von Sirt1-Proteinen verfügen – mehr als 100mal mehr als der Durchschnitt. Demnach sind mTECs diejenigen Zellen im Körper, die hauptsächlich Sirt1 exprimieren. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, Sirt1 stellt sicher, dass das AIRE-Protein aktiviert ist. Es beseitigt eine chemische Gruppe von der AIRE-Struktur, wodurch der mTEC-Genausdrucksprozess initiiert wird.

            Diese neu entdeckte Partnerschaft zwischen den beiden Genen könnte eine wichtige Einsicht in die Gründe der verschiedenen Autoimmunerkrankungen bieten, wie z.B. Typ-1-Diabetes, eine Krankheit, die sich durch die autoimmune Zerstörung der Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse auszeichnet. Darüber hinaus könnte es die Diagnose autoimmuner Störungen verbessern und einen Weg zur Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung einiger dieser Krankheiten weisen.

 

 

Dr. Jakub Abramsons Forschungsarbeit wird finanziert aus demWohl Biology Endowment Fund, der Abisch Frenkel Foundation for the Promotion of Life Sciences und von der Sy Syms Foundation. Dr. Abramson hält den Dr.-Celia-Zwillenberg-Fridman-und- Dr.-Lutz-Zwillenberg-Lehrstuhl inne.

 

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