Wissenschaftler des Weizmann Instituts entdecken wie sich das Gehirn manipulieren lässt, um mütterliches Verhalten in Weibchen zu kontrollieren und Aggression in Männchen zu reduzieren

25.10.2015

Die meisten weiblichen Säugetiere gebären und kümmern sich dann um ihren Nachwuchs, während männliche Säugetiere sich meistens mit mehreren Weibchen paaren und nach der Paarung kaum eine Elternrolle einnehmen. Aber die Wissenschaftler konnten bisher nicht ergründen, wo genau im Gehirn diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern verankert sind und wie diese sich auf das Verhalten auswirken. Dieses „vorprogrammierte elterliche Verhalten“ ist nach wie vor ein heiß diskutiertes Thema.

            In einer neuen Forschungsarbeit, die in Nature veröffentlicht wurde, bieten Wissenschaftler des Weizmann Instituts, Dr. Tali Kimchi und ihr MA-Student Niv Scott in Zusammenarbeit mit Dr. Ofer Yizhar und Dr. Matthias Prigge, ein promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter in seinem Labor, einen neuen Einblick zu diesem Thema. Ihre Forschung zeigt, dass dasselbe Hirnzellennetzwerk in männlichen und weiblichen Mäusen unterschiedlich arbeitet.

            Weibliche Mäuse, und darunter sogar diejenigen, die noch gar keine Jungen haben, verhalten sich sehr mütterlich. Sie tragen beispielsweise ein Junges, das in einer Ecke des Käfigs zurückgeblieben ist, und bringen es zu seinem Nest oder sie putzen es sogar. Dieses Verhalten intensiviert sich, wenn diese Mäuse Mütter werden. Im Gegensatz dazu sind die Männchen gewöhnlich aggressiver und eher territorial. Fremde Junge werden von Männchen ignoriert oder gar gewaltsam angegriffen. Aber nach der Paarung und Geburt ihrer eigenen Jungen legen Männchen für kurze Zeit doch auch elterliches Verhalten an den Tag.

            Die Forscher konzentrierten sich bei ihren Untersuchungen auf einen kleinen Bereich im Zwischenhirn (Hypothalamus), der sich AVPV nennt und bei weiblichen Mäusen deutlich größer ist als bei Männchen. Das Team befasste sich insbesondere mit bestimmten Neuronen, die das sogenannte TH-Protein (Tyrosinhydroxylase) exprimieren, welches für die Produktion von Dopamin gebraucht wird, einem chemischen Boten im Gehirn. Die Wissenschaftler beobachteten, dass spezifische Neurone mit TH in den Mutterweibchen zahlreicher vorhanden sind als in jungfräulichen Weibchen und Männchen. Dies deutet darauf hin, dass diese Neurone, selbst wenn sie in beiden Geschlechtern präsent sind, bei den Weibchen die elterliche Fürsorge hervorheben, während sie bei Männchen ganz andere Funktionen übernehmen.

            Mit dem Einsatz moderner genetischer und neuro-biochemischer Werkzeuge hat das Forschungsteam sowohl in Mäuseweibchen als auch in Mäusemännchen zuerst die TH-Menge angehoben und dann gesenkt – und zwar nur in Neuronen in der spezifischen Hirnregion. Danach zeichneten sie auf, wie diese Veränderungen das elterliche Verhalten in den Mäusen beeinflusst. Das Forschungsteam wandte auch ein optogenetisches Verfahren an, mit dem Neurone durch Licht aktiviert werden, um damit ganz genau die Aktivität der Neurone mit TH zu manipulieren, und zwar quasi einfach durch das Bedienen eines Lichtschalters.

            Die Forscher beobachteten, dass sich durch die Anhebung des TH-Niveaus in diesen Neuronen mütterliches Verhalten in den weiblichen Mäusen – sowohl jungfräulichen als auch Muttermäusen – auslösen lässt. Auch reichte eine kurze optogenetische Aktivierung für nur wenige Minuten aus, um das Weibchen dazu zu bringen, in die Ecke des Käfigs zu eilen und ein zurückgebliebenes Junges zu seinem Nest zurückzubringen. Weitere Tests enthüllten, dass diese Manipulationen das Oxytocin-Niveau im Blut erhöhte. Oxytocin ist eine Hormon, das u.a. mit Laktation und den weiblichen Fortpflanzungsorganen in Verbindung gebracht wird. Eine Senkung der Neuronenanzahl mit TH bei den Weibchen führte auch zu niedrigeren Oxytoncin-Niveaus und beeinträchtigte somit ihre Mutterinstinkte.

            Als die Wissenschaftler Optogenetik zur Aktivierung der Neurone mit TH bei den Männchen einsetzten, hatte dies keinen Einfluss auf das Oxytocin-Niveau oder ihr elterliches Verhalten. Aber überraschenderweise stellte sich ein deutlich geringeres aggressives Verhalten gegenüber unbekannten Jungen und anderen Männchen ein. Im Gegensatz hierzu zeigte sich bei einer Senkung der Anzahl der Neurone mit TH ein deutlicher Anstieg des Aggressionsverhaltens des Männchens gegen fremde Junge und andere Männchen.

            „Durch die Kontrolle der Menge und Aktivitäten dieser einzigartigen Neurone konnten wir das mütterliche Verhalten der Weibchen und die Aggression der Männchen manipulieren“, sagt Kimchi. „Unsere Ergebnisse deuten daraufhin, dass mütterliches Verhalten aus den fest miteinander verdrahteten neuronalen Netzwerken herrührt. Sie unterscheiden sich von den neuronalen Netzwerken der Männchen und werden zumindest teilweise vom Hormon Oxytocin reguliert.“

            Diese Forschungsergebnisse könnten in Zukunft Einblicke in die männlichen und weiblichen Hirnfunktionen und ihre Auswirkung auf geschlechtsbedingte Verhaltensweisen wie z.B. die elterliche Pflege von Jungen sowie anderer Reproduktions- und Sozialverhaltensweisen bieten. Kimchi hofft, dass diese Entdeckung letztlich zu unserem besseren Verständnis biologischer Faktoren beiträgt, die mentale Störungen mit einem sozialen Aspekt oder in Bezug auf geschlechtlich bedingtes Verhalten bewirken. Hiermit sind z.B. postpartale Stimmungskrisen, Aggression und Autismus-Spektrum-Störungen gemeint.

 

 

 

Dr. Tali Kimchis Forschungsarbeit wird finanziert von dem Joan and Jonathan Birnbach Family Laboratory Fund, der Abisch Frenkel Foundation fort he Promotion of Life Sciences, den Peter an Patricia Gruber Awards, von Mike und Valeria Rosenbloom über die Mike Rosenbloom Foundation. Dr. Kimchi hält den Jenna-und-Julia-Birnbach-Familien-Lehrstuhl inne.

 

Dr. Ofer Yizhars Forschungsarbeit wird finanziert von dem Grodetsky Center for Higher Brain Functions, dem Henry Chanoch Krenter Institute for Biomedical Imaging and Genetics, dem Clore Center for Biological Physics, der Adelis Foundation, der Carolito Stiftung, der Iby and Aladar Fleischman Foundation, dem Candice Appleton Family Trust, der Minna-James-Heineman-Stiftung, dem Irving B. Harris Fund for New Directions of Brain Research, dem Joseph D. Shane Fund for Neurosciences, dem Corinne S. Koshland Equipment Endowment Fund, dem Europäischen Forschungsrat, dem Lord Sieff of Brimpton Memorial Fund und dem Irving Bieber, M.D. and Toby Bieber, M.D. Memorial Research Fund. Dr. Yizhar hält den Getrude and Philip Nollman Career Development Chair.

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