Bakterielle Immunsysteme erobern die Bühne

12.08.2018

Eine systematische Studie, die mehrere neue und ungewöhnliche bakterielle Immunabwehrmechanismen aufdeckt, könnte den Weg zu neuen biotechnologischen Werkzeugen ebnen

Bis vor einem Jahrzehnt war den Wissenschaftlern nicht bewusst, dass Bakterien komplexe Immunsysteme haben – solche, die mit dem Entwicklungstempo von Viren, auch Phagen genannt, Schritt halten können und welche Bakterien infizieren. Das änderte sich mit der Entdeckung des heute berühmtesten bakteriellen Immunmechanismus: CRISPR. Wissenschaftler haben erkannt, dass CRISPR ein natürlicher Geneditor ist und der Mechanismus hat seitdem die Welt der biologischen Forschung in Tausenden von Laboren auf der ganzen Welt revolutioniert. Forscher verstehen jetzt, dass die meisten Mikroorganismen hochentwickelte Immunsysteme haben, von denen CRISPR nur ein Element ist; aber es gab bislang keinen guten Weg, diese Systeme zu identifizieren. In einer groß angelegten, systematischen Studie haben Prof. Rotem Sorek und sein Team vom Weizmann Institute of Science nun die Existenz von 10 bisher unbekannten Immunabwehrmechanismen in Bakterien aufgedeckt. „Die Systeme, die wir entdeckt haben, sind anders als alles, was wir bisher gesehen haben“, sagt Sorek. „Aber unter ihnen, so denken wir, sind ein oder zwei, die das Potenzial haben könnten, die Werkzeugkiste für die Genbearbeitung zu erweitern, und andere, die auf die Ursprünge des menschlichen Immunsystems hindeuten.“ Die Ergebnisse ihrer Studie wurden kürzlich in Science veröffentlicht.

Bakterien können sich im Kampf gegen Phagen nicht allein auf CRISPR verlassen, erklärt Sorek, Mitglied der Abteilung Molekulare Genetik des Instituts. Viele Phagen haben „Anti-CRISPR“-Proteine, die die CRISPR-Aktivität unterbinden, was darauf schließen lässt, dass andere Systeme diese Lücke füllen. Sorek und sein Team begannen ihre Suche nach diesen Systemen mit der Entwicklung eines Computerprogramms, das alle bisher sequenzierten bakteriellen Genome – insgesamt rund 50.000 Genome – scannen sollte. Statt nach Sequenzen mit vordefinierten Merkmalen zu suchen, suchten die von ihnen erstellten Algorithmen nach den „statistischen Signaturen“ von Genen, die an Abwehrmechanismen beteiligt sind – zum Beispiel nach ihrer Lage auf „Abwehrinseln“, wo mehrere abwehrrelevante Gene nahe beieinander liegen. Weil die Gene des Immunsystems - auch bei Bakterien - selten allein arbeiten, entwickelten die Forscher komplexe computeranalytische Methoden, um zu verstehen, welche Gene sich zusammenschließen und gemeinsam ein Abwehrsystem bilden.

Nachdem sie die potentiellen Abwehrgene von Millionen auf mehrere hundert eingegrenzt hatten, mussten die Forscher die von ihnen identifizierten Kandidatenmechanismen testen. Anstatt zu versuchen, die genetischen Sequenzen aus hunderten verschiedener Bakterien zu isolieren, wandte sich das Team der synthetischen Biologie zu: Die Gene wurden nach Maß hergestellt. Sie schickten die Gencode-Stränge – insgesamt etwa 400.000 Basen oder „Buchstaben“ des genetischen Codes – an ein kommerzielles Labor, in dem Dutzende von verschiedenen Multi-Gen-Systemen synthetisiert und getestet wurden. Diese synthetischen Systeme wurden in Laborbakterien eingesetzt, deren natürliches Immunsystem ausgeschaltet worden war. Die Bakterien wurden dann Phagen und anderen infektiösen Elementen ausgesetzt, um zu sehen, ob das transplantierte Abwehrsystem lebensfähig ist. Von den verschiedenen Systemen, die die Forscher untersuchten, schützten 10 die Laborbakterien stark vor Infektionen, wodurch sie als neue Immunabwehrsysteme identifiziert werden konnten. 

Sorek erklärt, dass zwischen den verschiedenen Phasen der Computeranalyse und dem Experimentieren sechs Personen zwei Jahre lang intensiv in seinem Labor arbeiteten, um diese Studie zu ermöglichen. Die Studie wurde von Dr. Shany Doron und Sarah Melamed geleitet, unter intensiver Beteiligung von Gal Ofir, Dr. Azita Leavitt, Dr. Anna Lopatina und Dr. Gil Amitai. Das Team traf sich alle zwei Wochen zu einem „Abwehrrat“, um die verschiedenen Teilbereiche der Forschung und die von ihnen entdeckten Abwehrmechanismen zu besprechen.

Die Forscher wissen immer noch nicht, wie die neuen bakteriellen Immunsysteme funktionieren, und einige, so Sorek, „scheinen überraschende Funktionen zu haben, die wir jetzt zu untersuchen beginnen“. Eines dieser Systeme enthält Toll-Interleukin-Rezeptor-(TIR-)-Domänen. Von TIR-Domänen war bereits bekannt, dass sie an Immunsystemen mitwirken – bei Mikroorganismen war dies bisher jedoch nicht der Fall. Diese Domänen sind ein integraler Bestandteil des menschlichen Immunsystems und sogar des Immunsystems von Pflanzen, aber es wurde noch nie zuvor gezeigt, dass sie in Bakterien an der antiviralen Abwehr beteiligt sind. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass einige der wichtigen Teile unseres eigenen Immunsystems tiefe evolutionäre Wurzeln in den bakteriellen Immunitätsmechanismen haben“, sagt Sorek.

Andere Gene schienen aus nicht-abwehrenden bakteriellen Systemen „geliehen“ worden zu sein. Eines davon ist z.B. aus den Flagellen bekannt, mit denen Bakterien schwimmen. Diese Gene versorgen die Flagellen mit Energie, indem sie es ihnen ermöglichen, Protonen aufzunehmen; eines der neuen Abwehrsysteme, die in Soreks Labor gefunden wurden, nutzt diese Gene für den Schutz vor Phagen. Ein anderes, Condensin genannt, schützt die DNA während der Zellteilung, und die Forscher entdeckten ein Abwehrsystem, das Komponenten des Condensinmechanismus verwendet, um Bakterien vor dem Eindringen von Plasmiden zu schützen – winzigen DNA-Ringen, die die Bakterienzellen parasitieren können.

 „Die Tatsache, dass wir es geschafft haben, 10 neue bakterielle Abwehrsysteme zu finden, deutet darauf hin, dass es noch mehr gibt“, sagt Sorek. „Mein Labor sucht weiter nach neuen Systemen. Außerdem beginnen wir, uns auf einige der Vielversprechendsten zu konzentrieren, um zu verstehen, wie sie funktionieren.“

Sorek sagt, dass die neuen Entdeckungen so aufregend sind, weil sie neue Fenster zur Evolution des Immunsystems und zum ewigen Kampf zwischen Viren und den Organismen, die sie infizieren, öffnen. Aber er glaubt auch, dass sich manche als mächtige Werkzeuge für die biologische Forschung erweisen könnten: „Jedes Immunsystem muss per Definition sehr spezifisch und doch flexibel auf eindringende Elemente zielen, und wir können dieses Zielen für biotechnologische Zwecke nutzen – so wie wir es mit CRISPR und zuvor mit Restriktionsenzymen getan haben. Jedes der neuen Systeme, die wir gefunden haben, könnte das nächste Werkzeug für die Genbearbeitung sein – oder vielleicht sogar die Grundlage für noch interessantere molekulare Werkzeuge“, so Sorek.

 

Die Forschung von Prof. Rotem Sorek wird unterstützt von der David and Fela Shapell Family Foundation INCPM Fund for Preclinical Studies, dem Y. Leon Benoziyo Institute for Molecular Medicine, dem Dana and Yossie Hollander Center for Structural Proteomics, der Abisch Frenkel Foundation for the Promotion of Life Sciences, dem Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust, Martin Kushner Schnur und dem Europäischen Forschungsrat

Das Weizmann Institute of Science in Rehovot, Israel, ist eine der weltweit besten multidisziplinären Forschungseinrichtungen. Das Institut ist bekannt für seine breit gefächerte Erforschung der Natur- und exakten Wissenschaften und die Heimat von Wissenschaftlern, Studierenden, Technikern und anderen Mitarbeitern. Zu den Forschungsgebieten des Instituts gehören die Suche nach neuen Wegen zur Bekämpfung von Krankheiten und Hunger, die Untersuchung bedeutender Fragen der Mathematik und Informatik, Fragen der Physik der Materie und des Universums, die Entwicklung neuer Materialien sowie die Entwicklung neuer Strategien für den Umweltschutz

Neuigkeiten zum Weizmann Institute finden Sie online auf

http://wis-wander.weizmann.ac.il/ und auf http://www.eurekalert.org/

Share