Gendekodierung nach Straßenverkehrsregeln

31.07.2013

Einer der grundlegendsten Prozesse des Lebens – die Transkription des Gencodes – läßt sich mit dem Straßenverkehr vergleichen, einschließlich Staus, Unfällen und einer Polizei, die den Verkehrsfluß kontrolliert. Diese überraschenden Befunde, die vor kurzem von Forschern des Weizmann Instituts in Nature Communications berichtet wurden, könnten die Entwicklung einer neuen Generation von Medikamenten gegen diverse Arten von Störungen ermöglichen.

 
Die Transkription involviert in der Tat einen Schritt, der der Bewegung eines Fahrzeugs ähnelt: Enzyme "fahren" auf Gen-"Spuren" und stellen Moleküle her, die später in verschiedene Proteine übertragen werden, die mit dem Leben einer Zelle zu tun haben. In der neuen Studie hat ein Forschungsteam unter Vorsitz von Prof. Rivka Dikstein aus dem Fachbereich Biologische Chemie herausgefunden, dass man genau wie auf der Straße einen bestimmten Abstand zwischen den Fahrzeugen halten muss – d.h. die Transkribierung der Enzyme – ist der sicherste Weg, um unversehrt an das Ziel zu gelangen. Das Forschungsteam unter Vorsitz von Prof. Dikstein schloß auch Dr. Nadav Marbach-Bar, Amitai Ben-Noon, Shaked Ashkenazi, Ana Tamarkin-Ben Harush, Dr. Tali Avnit-Sagi und Prof. Michael Walker ein.
 
Die Wissenschaftler beobachteten die Transkribierung des Gencodes für winzige Regulatorenmoleküle, die sich MikroRNAs nennen. Beim Arbeiten mit menschlichen Zellen experimentierten sie mit verschiedenen Geschwindigkeiten der Transkription: Schnelles Tempo, bei dem die Enzyme explosionsartig abgegeben werden, und langsames Tempo, bei dem Enzyme einzeln und in größeren Abständen abgegeben werden. Die Experimente ergaben paradoxe Ergebnisse: Wenn die Transkription explosionsartig geschah, fiel die Menge der MicroRNAs stark ab, und im Gegensatz dazu wurde die Produktion der MicroRNAs effektiver, wenn die Enzyme in größeren Abständen abgegeben wurden.
 
Es zeigte sich, dass bei explosionsartiger Abgabe der Enzyme, bei der eine sehr schnell auf die nächste folgte, sich ein Verkehrsstau ereignete: Wenn das erste Enzym auf einer Straßenerhebung pausierte – einem molekularen Signal für eine Pause in der Transkription – stieß das darauffolgende Enzym mit dem vorhergehenden zusammen und fiel vom Gen herunter. Wegen dieser "Verkehrsunfälle" wurde die Menge der MicroRNAs reduziert. Im Gegensatz dazu hielten die Enzyme einen sicheren Abstand, wenn sie nacheinander abgegeben wurden: Jedes einzelne Enzym hatte ausreichend Zeit, vor der Straßenerhebung langsamer zu fahren und eine MicroRNA herzustellen.
 
Da diese Ergebnisse neues Licht auf die Herstellung von MicroRNAs werfen, könnten sie bei der Entwicklung von Medikamenten auf der Basis dieser Moleküle helfen. MicroRNAs wurden erst in den 1990ern entdeckt und sind für zukünftige Behandlungsmethoden sehr vielversprechend, weil sie den Genausdruck zu kontrollieren helfen – z.B. indem sie die krebsbewirkende Aktivität in den Genen unterdrücken. Diese Fähigkeit ist besonders wertvoll, wenn der molekulare Prozeß auf der tiefsten Ebene im Zellkern selbst manipuliert werden muß.
 
Diese neue Studie ermöglicht grundlegende Einsichten in die Art und Weise wie sich Transkription regulieren läßt. Zum Beispiel zeigt die Studie, dass bei Entzündung, wenn der Körper durch Invasion eines Virus oder eines Bakteriums bedroht wird, die Abgabe von MicroRNAs, die der Entzündung entgegenwirken können, zeitweilig eingestellt ist. Dieser Stopp ereignet sich, weil die Entzündung die Geschwindigkeit der Enzymtranskription steigert und damit einen Verkehrsstau erwirkt, der die Produktion von MicroRNAs beeinträchtigt. Dieser Rückgang wiederum bietet der Entzündung mehr Zeit, um ihre heilende Wirkung zu zeigen bevor sie durch die MicroRNAs gestoppt wird.
 
Letztendlich läßt sich mithilfe dieser Studie auch eine frühere Entdeckung in Diksteins Labor erklären: In längeren Genen erfoglt die Enzymtranskription mit geringerer Geschwindigkeit, d.h. also mit größeren Abständen. Je länger das Gen desto größer ist das Risiko, dass es molekulare Straßenerhebungen aufweist, die Verkehrsstaus bewirken und die Transkription stören. Daher fahren die Transkriptionsenzyme langsamer, um ihren Job auf effektivere Weise durchführen zu können als die Enzyme, die explosionsartig abgegeben werden.
 
 
Prof. Rivka Diksteins Forschungsarbeit wird finanziert von dem Pearl Welinsky Merlo Foundation Scientific Progress Research Fund, dem Yeda-Sela Center for Basic Research, dem Wolfson Family Charitable Trust und dem Y. Leon Benoziyo Institute for Molecular Medicine. Prof. Dikstein hält den Ruth-und-Leonard-Simon-Lehrstuhl für Krebsforschung inne.
 
Prof. Michael Walkers Forschungsarbeit wird finanziert von der Adelis Foundation und der Falconhead Charitable Foundation, Inc. Prof. Walker hält den Marvin-Myer-und-Jenny-Cyker-Lehrstuhl für Diabetes-Forschung inne.
 

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