Leukämie-Zellen hängen von einem gesunden Gen ab

29.09.2013

Forscher des Weizmann Instituts entdecken, dass eine Pattsituation zwischen einem mutierten Gen und seinem normalen Gegenstück bestimmte Krebszellen leben lassen

Wie kann eine Leukämiezelle endlos weiterleben und sich endlos und aggressiv teilen? Laut einer neuen Forschungsstudie des Weizmann Instituts hängt bei etwa einem Viertel aller Leukämiekrankheiten die Krebszelle von der internen „Balance des Terrors“ ab, die sie in Gang hält. Wenn eine Art eines bestimmten Gens mutiert ist, verwandelt es sich in ein Krebs förderndes Gen – ein sog. Onkogen. Diese neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass es das zweite, normale Gen ist, das parallel zu der Mutation fungiert und das sowohl die Krebs- als auch die gesunde Zellen befähigt, sich ihren destruktiven Weg durch den Körper zu ebnen. Dieses Forschungsergebnisse erschienen letzte Woche in Cell Reports.


Das sogenannte RUNX1-Gen ist für die Entwicklung und Instandhaltung des Blutkreislaufsystems sehr wichtig. Es kodiert einen Transkriptionsfaktor, ein Protein, das den Ausdruck vieler anderer Gene reguliert. Im Blutkreislauf dirigiert dieser Transkriptionsfaktor die Differenzierung von einer bestimmten erwachsenen Stammzelle im Knochenmark in verschiedene erwachsenen Blutzellen. Nur eine einzige Mutation im RUNX1-Gen in dieser Art Stammzelle ist notwendig, um sie als leukämische Stammzelle auf den Weg zu schicken. Akute Myeloid-Leukämie (AML) charakterisiert sich z.B. durch eine ganz bestimmte Art von Mutation, die sich Translokation nennt. Ein wenig genetisches Material vom Chromosom 8 gelangt zum RUNX1-Gen auf Chromosom 21 und ordnet sich in die genetische Sequenz ein. Das Resultat ist ein Onkogen, das ein fusioniertes Protein kodiert, ein Protein, das einige neue Funktionen übernimmt und andere Funktionen verliert. Einige andere Arten von Leukämie, einschließlich der verbreiteten Leukämie bei Kindern, ALL, beginnen mit einer ähnlichen Translokation durch RUNX1 und dem Chromosom 12.

„Das verschmolzene Onkoprotein führt zu einer Serie von weiteren Genveränderungen in der Zelle, weil es direkt in die Regulierung des Gens eingreift,“ sagt Prof. Yoram Groner aus dem Fachbereich Molekulargenetik am Weizmann Institut, der die Forschungsarbeit leitete. Groner führte bereits diverse wichtige Studien an RUNX1 und anderen Chromosom-21-Genen durch, anhand derer die Rolle von RUNX1 bei Leukämie in Verbindung mit dem Down-Syndrom entschlüsselt wurde.

Die gegenwärtige Studie wurde hauptsächlich vom Postdoktoranden Dr. Oren Ben-Ami in Groners Labor durchgeführt, und zwar gemeinsam mit Dr. Amos Tanay aus dem Fachbereich Informatik und Angewandte Mathematik sowie Dr. Dena Leshkowitz vom Israel National Center for Personalized Medicine. In Vorbereitung auf ihre Forschungsarbeit suchten die Wissenschaftler nach Informationen in verschiedenen bimolekularen Datenbanken. Dabei entdeckten sie etwas Ungewöhnliches: Die klinischen Daten suggerierten, dass eine zweite Kopie des RUNX1-Gens – das gesunde, nicht mutierte Gen – in den leukämischen Zellen unversehrt geblieben war und sehr gut arbeitete. Selbstverständlich erscheinen fast alle Gene in unseren Zellen doppelt – eine Kopie jedes Elternteils – und die Mutationen, die zu Krebs führen, ereignen sich zumeist in nur einem dieser zwei Gene. Aber irgendwo auf dem Weg zur voll ausgeprägten Krebserkrankung tendieren die gesunden Gene zumeist dazu, in den Hintergrund zu treten und werden überstimmt und die mutierten Gene behalten die Oberhand.

Dem Groner-Team kam daher eine ungewöhnliche Idee: Die gesunde Version des RUNX1-Gens könnte also auch eine Rolle in der Entwicklung der Krankheit spielen. Aber wie und in welchem Stadium?

Um dieser Frage nachzugehen züchteten die Forscher leukämische Zellen im Labor und drängten entweder die gesunden RUNX1-Gene oder die mutierten Gene in den Hintergrund. Und so beobachteten sie, wenn die gesunden Gene in den Hintergrund traten, starben die Zellen ab, aber wenn die mutierten und die gesunden Gene gleichzeitig fungierten, übernahm die Krebszelle die Kontrolle und starb nicht ab. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Krebszellen es schafften, einem Krebstod – einer sogenannten Apoptosis, einer Art Selbstmordmechanismus, die gewöhnlich Zellen mit möglichen Krebsmutationen an einer weiteren Teilung hindert – aus dem Weg zu gehen. In anderen Worten zeigte sich, dass es eigentlich die gesunden Zellen und nicht die mutierten Zellen sind, die für die heimtückische Charakteristik der Krebszellen, nämlich ihre hartnäckige Persistenz - verantwortlich sind.

Groner sagt, die Studie zeige auf, dass leukämische Zellen vom normalen RUNX1 abhängig sind, d.h. physiologisch hängen sie von der Aktivität des normalen RUNX1 ab. „Während des Mutationsprozesses wird das Onkogen, das eine Translokation bewirkt, zu einem Virtuosen bei der Umwandlung von gesunden in Krebszellen. Wenn die Dinge zu weit in Richtung allgemeiner Destruktion gehen, braucht die Zelle die „Balance des Terrors“, um den Tod aufzuschieben.“

Groner hofft darauf, dass diese Forschungsergebnisse neue Wege auf der Suche nach einer besseren Diagnose und besseren Behandlungen für diese Formen von Leukämie ebnen. Darüber hinaus suggerieren die Ergebnisse, dass die Aktivität gesunder Gene neben mutierten Gegenstücken eine wichtige Rolle in diversen anderen Krebskrankheiten spielen. „Bisher hat sich diesen Aspekt noch niemand wirklich angeschaut,“ meint Groner.
 

Prof. Yoram Groners Forschungsarbeit wird finanziert vom Kekst Family Institute for Medical Genetics, dem er selbst vorsteht, von dem M.D. Moross Institute for Cancer Research, das er selbst leitet, dem David and Fela Shapell Family Center for Genetic Disorders Research, das er ebenfalls leitet und dem Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust. Prof. Groner hält den Dr.-Barnet-Berris-Lehrstuhl für Krebsforschung inne.
 
Dr. Amos Tanays Forschungsarbeit wird finanziert von Pascal und Ilana Mantoux in Israel/Frankreich, dem Wolfson Family Charitable Trust, dem Rachel and Shaul Peles Fund for Hormone Research und aus dem Nachlass von Evelyn Wellner. Dr. Tanay hält den Robert-Edward-und-Roselyn-Rich-Manson-Lehrstuhl für Karriereentwicklung in Perpetuity inne.
 

Pre-leukemic stem cells (top) with both mutated and healthy copies of the RUNX1 gene already display some of the characteristics of acute myeloid leukemia (AML). When the non-mutated copy of the gene is inactivated, disruptions in the spindle-assembly-checkpoint phase of cell division trigger cell death

 
 

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