Neurale Aktivität wurde in Flughunden während des Fluges gemessen

18.04.2013

Am Weizmann Institut wurden mit schnurlosen Miniaturgeräten Erkenntnisse gewonnen, die erstmals detaillierte Informationen über die Gehirnfunktion in der dreidimensionalen Orientierung von Säugetieren liefern

Tiere orientieren sich um zu überleben, z.B. bei der Suche nach Futter und Unterkunft oder um Feinden aus dem Weg zu gehen. Eine Forschungsstudie, die von Dr. Nachum Ulanovsky und Forschungsstudent Michael Yartsev aus dem Fachbereich Neuobiologie am Weizmann Institut durchgeführt und heute in Science veröffentlicht wurde, enthüllt erstmals wie dreidimensionaler volumetrischer Raum im Gehirn von Säugetieren wahrgenommen wird. Zur Durchführung der Studie wurde ein einzigartiges Miniatursystem neuraler Telemetrie eingesetzt, das spezifisch für diese Aufgabe entwickelt wurde und die Messung einer einzigen Hirnzelle beim Fliegen ermöglicht.

            Die Frage wie Säugetiere sich im Raum orientieren, wurde bereits eingehend untersucht, aber bisher wurden solche Experimente nur in einer zweidimensionalen Umgebung durchgeführt. Dabei fand man beispielsweise heraus, dass Orientierung von "Platzzellen" abhängig ist - also Neuronen, die sich im Hippocampus befinden, einem Teil des Gehirns, das an der Gedächtnisleistung beteiligt ist, insbesondere am räumlichen Gedächtnis. Jede Platzzelle ist für einen räumlichen Bereich verantwortlich und sendet ein elektrisches Signal, wenn sich das Tier in diesem Raum befindet. Gemeinsam produzieren die Platzzellen eine volle Repräsentation der gesamten räumlichen Umgebung. Im Gegensatz zu den Laborexperimenten wird die Navigation vieler Tiere, einschliesslich der Menschen, in der realen Umgebung dreidimensional vollzogen. Die Bemühungen, die Bandbreite der Versuche  von zwei- auf dreidimensionale Versuche zu erweitern, stiess auf Schwierigkeiten.

            Eine der bekannteren Bemühungen in diesem Bereich wurde an der Universität von Arizona und der NASA durchgeführt, bei der Ratten an Bord eines Raumschiffs ins Weltall entsendet wurden. Obwohl diese Ratten sich in Schwerelosigkeit befanden, bewegten sie sich entlang gerader eindimensionaler Linien. Auch andere Experimente mit dreidimensionalen Projektionen auf zweidimensionale Oberflächen produzierten keine volumetrischen Daten. Die Schlussfolgerung war, dass Tieren für ein besseres Verständnis von Bewegung in einem dreidimensionalen volumetrischen Raum die Möglichkeit gegeben werden muss, sich durch alle Dimensionen zu bewegen, also dass man fliegende Tiere untersuchen muss.

            Ulanovsky wählte dafür den ägyptischen Flughund aus, eine in Israel weit verbreitete Fledermausgattung. Da es sich hierbei um verhältnismässig grosse Tiere handelt, konnten die Forscher ferngesteuerte Messapparate anbringen, ohne dass die Bewegungsfreiheit der Flughunde beeinträchtigt wurde. Die Entwicklung eines solchen hochentwickelten Messystems dauerte mehrere Jahre. Gemeinsam mit einer amerikanischen Firma entwickelte Ulanovsky ein schnurloses leichtes Gerät mit einem Gewicht von nur 12 g (d.h. nur etwa 7 % von dem Gewicht eines solchen Flughundes), das aus Elektroden besteht, die die Aktivität eines einzigen Neurons im Gehirn eines Flughundes messen.

            Die nächste Herausforderung für die Wissenschaftler war die Anpassung des Verhaltens der Flughunde an die Anforderungen des Experiments. Flughunde fliegen automatisch in gerader Linie zu ihrem Ziel, z.B. einem Obstbaum. In anderen Worten, ihre normalen Flugmuster sind eindimensional, während das Experiment sie zu einem dreidimensionalen Flug im Raum bewegen sollte.

            Die Lösung hierzu fand sich in einer früheren Studie der Ulanovsky-Gruppe, die wilde Flughunde mit Miniatur-GPS- Geräten verfolgte. Eine der Entdeckungen war, dass Flughunde, wenn sie an einem Obstbaum ankommen, um ihn herumfliegen und dabei den gesamten Raum um den Baum in Anspruch nehmen. Um dieses Verhalten in einem Labor -, das einer künstlichen Höhle ausgestattet mit diversen Geräten zur Beobachtung der Flughunde ähnelt - zu simulieren, installierten die Forscher einen künstlichen Baum aus Metallleisten und Tassen gefüllt mit Früchten.

            Die Messung der Aktivität der Hippocampus-Neuronen in den Gehirnen der Flughunde zeigte, dass die Repräsentation von dreidimensionalem Raum einem zweidimensionalem Raum ähnelt: Jede Platzzelle ist für die Identifizierung eines bestimmten Raums in der "Höhle" verantwortlich und sendet ein elektronisches Signal aus, wenn der Flughund sich in dieser Gegend befindet. Zusammen liefern die Platzzellen ein komplettes Bild der Höhle - links, rechts, oben und unten.

            Eine genauere Untersuchung der Gegenden, für die einzelnen Platzzellen verantwortlich sind, liefert eine Antwort auf die heiss debattierte Frage: Nimmt das Gehirn die drei Raumdimensionen auf gleiche Weise wahr? Oder in anderen Worten: Nimmt das Gehirn die Höhenachse in der gleichen Art und Weise wahr wie Länge und Breite? Die Ergebnisse implizieren, dass jede Platzzelle auf ein sphärisches Volumen im Raum reagiert, d.h. die Perzeption aller drei Dimensionen ist einheitlich. Die Forscher bemerkten, dass bei nicht fliegenden Tieren, die sich hauptsächlich nur im flachen Raum bewegen, die verschidenen Raumachsen möglicherweise nicht in der gleichen Auflösung wahrgenommen werden. Es könnte sein, dass diese Tiere von Natur aus empfindlicher auf Veränderungen an den Laengen- und Breitenachsen als auf die Höheachse reagieren. Diese Frage ist besonders beim Menschen interessant, denn einerseits sind die Menschen aus den Affen hervorgegangen, die sich in dreidimensionalem Raum bewegten, wenn sie sich von einem Ast zum anderen geschwungen haben, aber andererseits navigieren die modernen Menschen gewoehnlich in zweidimensionalem Raum.

            Diese Erkenntnisse liefern neue Einsichten in einige Basisfunktionen des Gehirns: Navigation, Raumgedächtnis und räumliche Wahrnehmung. Größtenteils hängt dies von der Entwicklung einer innovativen Technologie ab, die einen ersten flüchtigen Blick in das Gehirn des fliegenden Tieres erlaubt. Ulanovsky glaubt, dass dieser Trend, in dem die Forschung "natürlicher" wird, die Zukunft der Neurowissenschaften darstellt. Die neurale Grundlage von Tierverhalten wird in den Laboren weiter untersucht, indem natürliche Bedingungen simuliert werden - oder aber auch Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, während sie ihren normalen, tagtäglichen Aktivitäten nachgehen, untersucht werden.

 

Dr. Nachum Ulanovskys Forschungsarbeit wird von der Rowland and Sylvia Schaefer Family Foundation, der Mike Rosenbloom Foundation, der Irving B. Harris Foundation, der Angel Faivovich Foundation for Ecological Research, aus dem Nachlass von Fannie Sherr, von Herrn Steven Harowitz und seiner Frau in San Francisco, Kalifornien, und dem Europäischen Forschungsrat finanziert.

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