Pheromone regulieren bei Mäuseweibchen ohne Nachwuchs Aggression gegen Junge von wilden Mäusen

05.08.2014

Labormäuse dienen als meist verbreitete Tiermodelle in der biologischen und medizinischen Forschung. Tausende Labormaus-Stämme werden durch künstliche Selektion produziert – d.h. Menschen züchten Tiere mit bestimmten Merkmalen über tausende Generationen. Dies hat zur Domestizierung von Mäusen geführt: Damit wurden spezifische Qualitäten wie z.B. schnelle Reproduktion gestärkt, mit denen sich die Mäuse besonders gut für die Forschung unter Laborbedingungen eignen, während Charakteristika, die für die Durchführung der Forschung nicht förderlich sind, wie Aggression, Lust, der Fluchtdrang bei Gefahren sowie Angst vor Umweltstörungen unterdrückt sind.


Aber diese künstliche Selektion hat auch dazu geführt, dass die Mäuse ihre sehr wichtige Fähigkeit zum Überleben in der Wildnis verlieren. Neben diesen verlorenen Eigenschaften haben weibliche Labormäuse außerdem die Tendenz entwickelt, sich umgehend mit jedem Männchen in ihrer unmittelbaren Umgebung zu paaren, so auch mit ihren Geschwistern und Eltern. Sie haben also ihre Fähigkeit verloren, geeignetere Partner für bessere Gene und eine höhere Überlebensrate auszuwählen, anstelle von solchen mit derselben Abstammung. Gleichzeitig entwickelten sie die Bereitschaft, sich um Junge von "Fremden" zu kümmern (selbst wenn sie selbst noch gar keinen Nachwuchs haben). Die auserkorenen Labormausstämme bei dieser künstlichen Selektion waren stets solche, die nicht wählerisch sind, schnell wachsen und schneller als wilde Mäuse ihre sexuelle Reife erreichen. Mit dieser Selektion hatten wir letztendlich größere und weniger aggressive Mäuse, die sich in jüngerem Alter reproduzieren und weniger wählerisch sind, wenn sie sich einen männlichen Partner aussuchen. In anderen Worten, diese Stämme unterscheiden sich deutlich von wilden Mäusen, wenn es um strukturelle, physiologische und andere Verhaltenseigenschaften geht.

Dr. Tali Kimchi aus dem Fachbereich Neurobiologie am Weizmann Institut war sich klar darüber, dass sich mit diesen Labormausstämmen einige der Fragen nicht beantworten ließen, die sich in ihrer Forschungsarbeit zu neuralen und genetischen Wurzeln des Sozialverhaltens, einschließlich Reproduktion und Mutterinstinkte stellten(wie z.B. die mütterliche Aggression gegen Junge von anderen Müttern und die Rolle die von Gerüchen – Pheromonen – bei der Auswahl von Partnern und die Pflege von Jungen). Daher musste Kimchi einen einzigartigen neuen Mausstamm entwickeln und dabei die Eigenschaften wieder herstellen, die in Labormausstämmen verloren gegangen waren. Gleichzeitig musste eine genetische Manipulation durchgeführt werden, um mutierte Stämme zu kreieren (also eine genetische Veränderung vornehmen, welche die Funktion eines bestimmten Gens deaktiviert).

Kimchi und ihre Forschungsgruppe führten über zehn Generationen eine Rückkreuzung mutierter Labormausstämme mit wilden, nicht domestizierten Mäusen durch, die eine spezifische Mutation im Gen verantwortlich für das Aufspüren von Pheromon-Signalen vorzeigten. In diesen neuen rückgekreuzten Mausstämmen konnten die Wissenschaftler Eigenschaften wilder Mäuser wieder herstellen, die durch den Domestizierungsprozess verloren gegangen waren und in den Laborstämmen fehlten, einschließlich Verhaltens-, Körperstruktur- und Hormoneigenschaften, diverse biologische Prozesse und genetische Funktionen. Ganz spezifisch stellten sie u.a. Fähigkeiten wieder her wie etwa die Reaktion auf und Flucht vor Gefahren, spontanes Angstverhalten wie Springen oder Erstarren oder auch aggressive Attacken gegen andere Weibchen. Eine weitere wichtige Eigenschaft, die in diesen neu gezüchteten Mäusen wieder hergestellt wurde, ist der Mutterinstinkt: Naive (nicht gepaart und ohne Nachwuchs) rückgekreuzte weibliche Mäuse würden nicht unbedingt ein Junges eines fremden Muttertiers pflegen. Sie zeigten sich sogar wieder aggressiv gegenüber diesen fremden Jungen sowie auch untereinander, genau wie wilde Mäuse.

Dieses von Kimchi und ihrem Team neu entwickelte Mausmodell ermöglichte es ihnen, erstmals die biologischen Wurzeln von aggressivem Verhalten bei Weibchen untereinander sowie insbesondere auch gegen die Jungen von anderen Mäuseweibchen zu erforschen. Darüber hinaus konnten sie bestimmte Gene lokalisieren, die für die Wahrnehmungvon Pheromon-Signalen verantwortlich sind, und festlegen, dass dies der Hauptgrund für die Ablehnung eines fremden Jungtiers sowie das aggressive Verhalten ihnen gegenüber ist. Wie sich herausstellte, ist die Mutter eines Jungtiers die einzige Mutter und Stiefmütter reagieren gewöhnlich aggressiver auf die Jungtiere anderer Mütter. Diese Ergebnisse, die im Magazin Nature Communications veröffentlicht wurden, stellen die Grundlage zur Entwicklung zusätzlicher Mausstämme dar, die zu einem besseren Verständnis der neuralen und genetischen Basis des Verhaltens in Bezug auf die Reproduktion von Weibchen ermöglicht und die Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen hervorhebt.

Kimchi hofft, dass weitere Forschungsarbeiten zu diesem Thema in Zukunft ein besseres Verständnis für die biologischen Mechanismen hinter sozialen und Reproduktionsprozessen ermöglicht, was bisher mit den Standardmodellen der Labormäuse nicht erforscht werden konnte. Auch könnte eine bessere Einsicht in die sozialen Komponenten neuropsychiatrischer Krankheiten erzielt werden, die sich bei Männern und Frauen auf unterschiedliche Weise ausdrückt. Solches Wissen wird zu einer besseren Entwicklung von Medikamenten für die verschiedenen Geschlechter und auch zur Analyse der Auswirkung bestimmter Medikamente bei Frauen beitragen können.
 

Dr. Tali Kimchis Forschungsarbeit wird finanziert von dem Nella and Leon Benoziyo Center for Neurological Diseases, dem Murray H. & Meyer Grodetsky Center for Research of Higher Brain Functions, dem Joan and Jonathan Birnbach Family Laboratory Fund, der Abisch Frenkel Foundation for the Promotion of Life Sciences, den Peter and Patricia Gruber Awards, von Mike und Valeria Rosenbloom über die Mike Rosenbloom Foundation, aus dem Nachlass von Fannie Sherr und vom Irving B. Harris Fund for New Directions in Brain Research. Dr. Kimchi hält den Lehrstuhl benannt nach der Familie von Jenna und Julia Birnbach inne.
 

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