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Täglich nehmen Millionen von Menschen Probiotika - Präparate mit lebenden Bakterien, die ihr Immunsystem stärken, Krankheiten vorbeugen oder die Nebenwirkungen von Antibiotika lindern sollen. Doch die Wirksamkeit von Probiotika ist bisher nicht eindeutig medizinisch belegt. Es ist nicht einmal klar, ob sich probiotische Bakterien wirklich im Verdauungstrakt ansiedeln und, falls dies der Fall ist, welche Auswirkungen sie auf den Menschen und sein Mikrobiom – die natürlichen Bakterien in seinem Darm – haben. In zwei aufeinanderfolgenden in Cell veröffentlichten Berichten zeigen Forscher des Weizmann Institute of Science – sowohl bei Mäusen als auch beim Menschen –, dass ein probiotisches Präparat aus 11 Stämmen der am weitesten verbreiteten Probiotikafamilien mitunter ungünstig für den Anwender und sein Mikrobiom sein kann.
Für die Erforschung der Auswirkungen von Probiotika gingen die Forscher wie folgt vor: Für die erste Studie wurden 25 menschliche Probanden einer oberen Endoskopie und Koloskopie unterzogen, um ihre ursprüngliche Mikrobiomzusammensetzung und –funktion in verschiedenen Darmregionen zu untersuchen. Fünfzehn dieser Probanden wurden dann in zwei Gruppen eingeteilt: Der ersten Gruppe wurde das Präparat mit 11 probiotischen Stämmen verabreicht, und der zweiten wurden Placebopillen gegeben. Nach Ablauf von drei Wochen der insgesamt vierwöchigen Behandlung wurden alle Teilnehmer einer zweiten oberen Endoskopie und Koloskopie unterzogen, um ihr Ansprechen auf die Probiotika oder das Placebo zu beurteilen, und anschließend wurden sie für weitere zwei Monate beobachtet.
Die Forscher entdeckten, dass die Darmkolonisation von Probiotika sehr individuell war. Allerdings gab es zwei Hauptgruppen: Der Darm der „Bewahrer“ nahm die probiotischen Mikroben auf, während die Mikrobiome der „Verweigerer“ sie vertrieben. Das Team fand heraus, dass sie vorhersagen konnten, ob eine Person ein „Bewahrer“ oder ein „Verweigerer“ sein würde, indem sie einfach ihr natürliches Mikrobiom und ihr Genexpressionsprofil untersuchten. „Bewahrer“, so stellten sie fest, zeigten Veränderungen in ihrem natürlichen Mikrobiom- und Darmgenexpressionsprofil, während „Verweigerer“ keine derartigen Veränderungen aufwiesen.
Personalisierte Behandlungen sind wichtig
Die Studie, die diese Artikel hervorbrachte, wurde von Forschungsteams aus den Labors von Prof. Eran Elinav von der Immunologischen Abteilung und Prof. Eran Segal von der Fakultät für Informatik und Angewandte Mathematik in Zusammenarbeit mit Prof. Zamir Halpern, Direktor der Gastroenterologieabteilung des Tel Aviv Medical Center, geleitet. Dr. Niv Zmora, Jotham Suez, Gili Zilberman-Schapira und Uria Mor aus dem Labor von Elinav führten die beiden Projekte in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern des Labors von Elinav und Segal sowie mit weiteren Wissenschaftlern und Medizinern von Weizmann und anderswo durch.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Probiotika nicht generell als ‚Nahrungsergänzungsmittel für alle‘ an die Öffentlichkeit verabreicht werden sollten“, so Elinav. „Stattdessen könnten sie auf das Individuum und seine besonderen Bedürfnisse zugeschnitten werden. Unsere Ergebnisse lassen sogar Schlüsse darauf zu, wie eine solche Personalisierung durchgeführt werden könnte.“ Segal ergänzt: „Diese Ergebnisse erweitern unsere bisherigen Erkenntnisse über die Ernährung, die eine ähnliche individuelle Reaktion auf Lebensmittel gezeigt haben und die die Rolle des Darmmikrobioms bei der Entstehung sehr spezifischer klinischer Unterschiede zwischen Menschen verdeutlicht haben.“
Post-antibiotische Kolonisierung und das natürliche Mikrobiom
In der zweiten Studie gingen die Forscher einer ähnlichen Frage nach, die für die breite Öffentlichkeit gleichermaßen wichtig ist – der Öffentlichkeit wird oft gesagt, sie solle Probiotika einnehmen, um die Nebenwirkungen von Antibiotika einzudämmen: Kolonisieren Probiotika den Darm nach einer Antibiotikabehandlung, und wie wirkt sich das auf den menschlichen Wirt und sein Mikrobiom aus? Die Forscher verabreichten 21 Probanden ein Breitspektrumantibiotikum; anschließend führten sie eine obere Endoskopie und eine Koloskopie bei den Probanden durch, um die Veränderungen im Darm und im Mikrobiom nach der Antibiotikabehandlung zu beobachten. Danach wurden die Probanden zufällig einer von drei Gruppen zugeordnet. Bei der ersten Gruppe ging es darum, zu warten und zu beobachten, wie sich ihr Mikrobiom von selbst erholte. Die zweite Gruppe wurde mit dem 11-stämmigen probiotischen Präparat über einen Zeitraum von vier Wochen behandelt. Die dritte Gruppe wurde mit einem autologen Stuhl-Mikrobiom-Transplantat (aFMT) behandelt, das aus körpereigenen Bakterien besteht und vor der Einnahme des Antibiotikums isoliert wurde.
Nachdem das Antibiotikum den Weg frei gemacht hatte, konnten Probiotika den menschlichen Darm ohne weiteres kolonisieren – mehr als in der vorherigen Studie, in der keine Antibiotika gegeben wurden. Zur Überraschung des Teams verhinderte die Darmkolonisation der Probiotika für Monate nach der Behandlung, dass sich sowohl die Genexpression des Wirtsdarms als auch das Mikrobiom wieder zu ihren normalen präantibiotischen Konfigurationen zurückbildeten. Im Gegensatz dazu führte die autologe FMT dazu, dass sich das natürliche Darmmikrobiom innerhalb weniger Tage rekolonisierte und das Expressionsprofil der Darmgene wieder normalisierte. „Diese Ergebnisse“, so Elinav, „zeigen eine neue und potenziell alarmierende Nebenwirkung des Probiotikakonsums mit Antibiotika, die sogar langfristige Folgen haben könnte. Im Gegensatz dazu war die personalisierte Behandlung – das Füllen des Darms mit den eigenen Mikroben – mit einer vollständigen Umkehrung der Medikamentenwirkung verbunden.“
Da Probiotika zu den weltweit meistverkauften rezeptfreien Nahrungsergänzungsmitteln gehören, könnten diese Ergebnisse unmittelbare und weitreichende Folgen haben. „Entgegen der derzeitigen Vorstellung, dass Probiotika harmlos sind und jedem nützen“, sagt Segal, „schlagen wir vor, dass Probiotika-Präparate auf den einzelnen Menschen zugeschnitten sein sollten, bzw. dass in einigen Fällen Behandlungen wie die autologe FMT in Frage kommen könnten“.
An den Studien nahmen ebenfalls Mally Dori-Bachash, Stavros Bashiardes, Maya Zur, Dana Regev-Lehavi, Rotem Ben-Zeev Brik, Sara Federici, Yotam Cohen, Max Horn, Raquel Linevsky, Meirav Pevnesr-Fischer und Hagit Shapiro aus dem Labor Elinav Labor; Eran Kotler, Daphna Rothschild, David Zeevi und Tal Korem aus Segal‘s Labor; Andreas E. Moor, Shani Ben-Moshe und Shalev Itzkovitz; Alon Harmelin von der Abteilung für Veterinärressourcen, Nitsan Maharshak, Oren Shibolet vom Tel Aviv Sourasky Medical Center, und Itai Sharon vom Tel Hay College und dem MIGAL Institute of the Galilee teil.
Die Forschung von Prof. Eran Elinav wird unterstützt vom Leona M. und Harry B. Helmsley Charitable Trust; der Adelis Foundation; dem Pearl Welinsky Merlo Scientific Progress Research Fund; der Rising Tide Foundation; der Else Kroener Fresenius Foundation; Vera und John Schwartz; der Lawrence and Sandra Post Family Foundation; Yael und Rami Ungar; Leesa Steinberg; Jack N. Halpern; dem Nachlass von Bernard Bishin für das WIS-Clalit-Programm; dem Park Avenue Charitable Fund; der Hanna and Dr. Ludwik Wallach Cancer Research Fund; dem Europäischen Forschungsrat; Donald und Susan Schwarz; Valerie und Aaron Edelheit; dem Howard and Nancy Marks Charitable Fund; und dem Nachlass von Malka Moskowitz. Prof. Elinav ist der Inhaber des Sir Marc and Lady Tania Feldmann Lehrstuhls.
Die Forschung von Prof. Eran Segal wird durch das von ihm geleitete Crown Human Genome Center, die Else Kroener Fresenius Foundation, die Adelis Foundation, Judith Benattar und den Europäischen Forschungsrat unterstützt.
Das Weizmann Institute of Science in Rehovot, Israel, ist eine der weltweit besten multidisziplinären Forschungseinrichtungen. Das Institut ist bekannt für seine breit gefächerte Erforschung der Natur- und exakten Wissenschaften und die Heimat von Wissenschaftlern, Studierenden, Technikern und anderen Mitarbeitern. Zu den Forschungsgebieten des Instituts gehören die Suche nach neuen Wegen zur Bekämpfung von Krankheiten und Hunger, die Untersuchung bedeutender Fragen der Mathematik und Informatik, Fragen der Physik der Materie und des Universums, die Entwicklung neuer Materialien sowie die Entwicklung neuer Strategien für den Umweltschutz |
Neuigkeiten zum Weizmann Institute finden Sie online auf
http://wis-wander.weizmann.ac.il/ und auf http://www.eurekalert.org/