Um Krebs zu stoppen, werden seine Mitteilungen blockiert

20.03.2015

Wissenschaftler des Weizmann Instituts haben ein potenzielles Medikament identifiziert, das nur Krebszellen nicht aber gesunde Zellen daran hindert, ihre "Post" zu bekommen

Die lebende Durchschnittszelle braucht Kommunikationsfähigkeiten: Sie muss einen kontinuierlichen Strom von Mitteilungen schnell und effizient von ihrer Außenwand zu ihrem inneren Zellkern transportieren, wo die meisten der tagtäglichen Entscheidungen getroffen werden. Aber dieses rasch agierende Fernkommunikationssystem ist anfällig für Mutationen, die "Spam-Attacken" zulassen und somit Krebserkrankungen hervorrufen. Prof. Rony Seger und sein Team aus dem Fachbereich Biologische Regulation haben jetzt eine Methode vorgeschlagen, die die Informationsflut stoppt, bevor sie den Zellkern erreicht. Wenn sich die ersten vielversprechenden Ergebnisse aufrecht erhalten lassen, könnte die Methode zur Behandlung diverser Krebserkrankungen verhelfen, insbesondere solcher, die eine Resistenz gegen herkömmliche Behandlungen entwickeln, und möglicherweise könnte sie auch weitaus weniger Nebenwirkungen als herkömmliche Behandlungen verursachen. Diese Forschungsergebnisse wurden kürzlich in Nature Communcations veröffentlicht.

 

            Da Zellen keine elektronische Kommunikation zur Verfügung steht, benutzen sie Proteine. Proteine leiten die Signale oder Mitteilungen gewöhnlich sehr gekonnt weiter und schaffen es sogar, die Membranen der Zellen und des entfernten Zellkerns zu durchdringen, wo die Information letztendlich abgeliefert werden muß. Eine Weisung von außerhalb der Zelle – z.B. ein Wachstumsfaktor-Molekül, das der Zelle mitteilt, sich zu teilen – wird an der Zellmembran gestoppt. Ein Rezeptor an der Außenfläche der Zellmembran nimmt die Mitteilung an und übermittelt ihr Signal an die Innenseite. "Wären Moleküle menschliche Boten, müssten sie eine Entfernung von etwa 70 km zurücklegen, um von der äußeren Membran bis zum Zellkern zu gelangen", sagt Seger. Anstatt die Mitteilungen von einem einzigen Kuriermolekül übermitteln zu lassen, beschleunigt die Zelle eine Art Staffellauf, bei dem die Mitteilung von einem zum nächsten Molekül weitergegeben wird. Dieses Kommunikationssystem von der Membran zum Zellkern ist bekannt als Signaltransduktion, und es gibt etwa 15 verschiedene Signalübertragungswege zur internen Übermittlung von Stimuli in der Zelle.

 

            Seger  hat einige Proteine identifiziert, die in diese Übertragungswege involviert sind, insbesondere einen bestimmten Weg, der sich MAPK/ERK-Kaskade nennt und bei Krebskrankheiten eine wichtige Rolle spielt. Eine Fehlregulation dieses Übertragungswegs zeigt sich in rund 85% aller Krebserkrankungen. Normalerweise werden die Botschaften dieser Proteine in einer normalen Zelle weitergegeben, indem das letzte Protein in der Staffel in den Zellkern hineingleitet, die Botschaft abliefert und wieder hinausgleitet. Aber bei Mutationen wird die eigentlich brauchbare Mitteilung zu "Spam": Sie wird immer wieder gesendet und überflutet den "Posteingang" des Zellkerns. Die Reaktion auf diese "Spam-Attacke" kann verheerend sein. Weisungen zu wachsen und sich zu teilen könnten in Krebs enden.

            Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ereignet sich, wenn ein Molekül, das sich ERK nennt, eine Transformation durchläuft, die es dazu befähigt, Membranen um den Zellkern zu durchdringen. Seger hat diesen Schritt eingehend erforscht und dabei einen äußerst komplexen Prozess enthüllt, der hervorgerufen wird, damit ERK seine Botschaft übermitteln kann.

 

            Seger entdeckte, dass ein effektiver "Spamfilter" in der ERK-Signalkaskade verhindert, dass Signale bis zum Zellkern gelangen. Seger und sein Team mit Alexander Plotnikov, Karen Flores und Galia Maik-Rachline entwickelten eine Auswahl kleiner Moleküle, die in die Zelle eindringen und den Transfer von ERK-Molekülen in den Zellkern verhindern. In Zusammenarbeit mit Dr. Michal Besser vom Sheba Medical Center züchteten sie verschiedene Krebszellen im Labor und fügten dann verschiedene Moleküle hinzu, um zu sehen, welche von ihnen am effektivsten auf ERK abzielen.

 

            Das Forschungsteam identifizierte ein potenzielles Medikament, das sehr gut funktioniert und sogar viele der Krebszellen absterben läßt. Seger sagt, die Krebszellen werden vom steten Fluss von ERK-Signalen "abhängig", weshalb der Filter, der die Signale verhindert, sie absterben läßt.  Sehr wichtig ist, dass dieses Molekül normale Zellen verschont und hauptsächlich den Krebsprozess angreift, weshalb weniger Nebenwirkungen als bei gegenwärtigen Chemotherapien auftreten.

 

            In einem nächsten Schritt wurde das Molekül in Mausmodellen menschlicher Krebserkrankungen getestet. Bei einigen Krebserkrankungen, sagt Seger, "funktionierte das Molekül in den Tiermodellen sogar noch besser als auf Krebszellen in vitro. Der Krebs verschwand innerhalb von Tagen und trat nicht wieder auf." Außerdem mag die Tatsache, dass die Moleküle den ERK nicht zerstören sondern ihn lediglich daran hindern, in den Zellkern einzudringen, für gesunde Zellen eine gute Neuigkeit sein: ERK kann immer noch eine "Quittung" zurück über den Staffelweg an die Rezeptoren senden, damit diese nicht versuchen, die Mitteilung erneut zu versenden.

 

             Eine Krebserkrankung, die von dem Molekül in den Experimenten ausgemerzt wurde, war Melanoma, eine zumeist tödliche Krebserkrankung, für die es nur wenige Behandlungen gibt. Die Medikamente, die derzeit gegen Melanoma eingesetzt werden, sagt Seger, funktionieren für eine Weile und dann wird der Krebs gegen sie resistent. Seger stellt sich vor, dass das neue Molekül zusätzlich zur abwechselnden Verabreichung verschiedener Medikamente eingesetzt wird, damit keine Resistenz entsteht. Das Molekül war absolut effektiv in der Ausmerzung von etwa einem Dutzend verschiedener Krebserkrankungen und bei einigen anderen erwirkte es zumindest den Rückgang der Zahl derKrebszellen.

 

            Das Verfahren, kleine Moleküle zu entwerfen, die in die Zelle eindringen und bestimmte Botschaften zerstören können bevor sie zu "Spam" werden, könnte nicht nur in der Behandlung von Krebs sondern auch bei anderen Krankheiten nützlich sein. "Jeder Übertragungsweg wird mit einer jeweils anderen Krankheiten assoziiert," sagt Seger. "Der Trick ist es, die Moleküle zu finden, die auf selektive Weise nur ein bestimmtes Stadium in dem Prozess angreifen." Sein Team und er experimentieren derzeit mit Molekülen, die einen anderen Übertragungsweg blockieren, der mit einer Autoimmun-Erkrankung in Verbindung gebracht wird.    

 

 

Prof. Rony Segers Forschungsarbeit wird finanziert vom Willner Family Center for Vascular Biology, welches er leitet, dem Maurice and Vivienne Wohl Biology Endowment, dem Judy and Monroe Milstein Fund for Ovarian Cancer Research, der Leah and Jack Susskind Foundation, von Katy and Gary Leff aus  Calabasas in Kalifornien, USA, von Dr. and Mrs. Bernard E. Small aus Montauk in New York, USA, von Gerhard und Hannah Bacharach aus Fort Lee in New Jersey, USA, von Mario Fleck in Brasilien, aus dem Nachlass von Leon Weiss, aus dem Nachlass von Lydia Hershkovich und aus dem Nachlass von John Hunter. Prof. Seger hält den Yale-S.-Lewine-Ella-Miller-Lewine-Lehrstuhl für Krebsforschung inne.

 

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