Vergangene Hirnaktivität wurde in Scans enthüllt

25.06.2013

Wissenschaftler des Weizmann Instituts entdecken, dass spontan auftretende Hirnaktivitätsmuster Spuren von vergangener kognitiver Aktivität enthalten.

Wenn Wissenschaftler wie Archäologen in unserem Gehirn graben könnten, würden sie vielleicht vergangene Erlebnisse entdecken? Diese Fähigkeit könnte zeigen, was uns zu so einzigartigen Individuen macht und eine objektive Diagnose vieler neupsychologischer Krankheiten könnte ermöglicht. Eine neue Forschungsarbeit des Weizmann Instituts deutet auf ein solches mögliches Szenario hin: Es wird gezeigt, dass spontane Wellen von neuronaler Aktivität im Gehirn die Spuren früherer Ereignisse noch 24 Stunden nach dem Erlebnis aufweisen.


Diese neue Forschungsarbeit basiert auf früheren Ergebnissen im Labor von Prof. Rafi Malach aus dem Fachbereich Neurobiologie am Institut und aus anderen Studien, die zeigen, dass das Gehirn niemals ruht, selbst wenn sein Besitzer ruht. Wenn sich eine Person mit geschlossenen Augen ausruht – wenn also das Gehirn keinem visuellen Anreiz ausgesetzt ist – werden normale Ausbrüche von Nervenzellenaktivität bei eintreffenden Informationen durch ultra-langsame Muster neuronaler Aktivität ersetzt. Solche spontane oder "ruhende" Wellen bewegen sich auf sehr geordnete und sich wiederholende Art durch die äußere Schicht des Gehirns – der Cortex – und die Muster, die dabei entstehen, sind komplex, aber periodisch und symmetrisch.

Genau wie Hieroglyphen könnten solche Muster eine Bedeutung haben und Forschungsstudent Tal Marmelech begann unter Anleitung von Malach und Dr. Son Preminger, ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Sie nahmen an, dass die Muster von ruhenden Hirnwellen eine Art "Archiv" früherer Erlebnisse darstellen. Während wir neue Erlebnisse hinzufügen, führt die Aktivität unserer Gehirnnetzwerke zu einer langfristigen Veränderung in den Verbindungen zwischen unseren Gehirnzellen, die sich Plastizität nennt. Während unsere Erlebnisse sich in diese Verbindungen einbetten, kreieren sie "Erwartungen" noch bevor wir irgendeine Art von mentalen Aufgaben ausführen. Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass Information über frühere Erlebnisse in die Verbindungen zwischen den Netzwerken der Nervenzellen in den Cortex eingebettet werden und diese sich in den Wellenmustern zeigen, die auf spontane Weise im Gehirn entstehen.

In ihrem Experiment ließen die Forscher Testpersonen eine Trainingsübung ausführen, die das Netzwerk der Nervenzellen in den Stirnlappen aktiviert. Während ihre Gehirnaktivität von einem funktionellen Magnetresonanztomographie-Scanner (fMRI) des Instituts gescannt wurde, wurden die Testpersonen gebeten, sich eine Situation vorzustellen, in der sie schnelle Entscheidungen treffen. Die Testpersonen erhielten ein hörbares Feedback in Echtzeit, das auf der Information direkt aus ihrem Stirnlappen basierte und das das Niveau der Hirnaktivität im geübten Netzwerk anzeigte. Diese "Neuro-Feedback"-Strategie erwies sich als sehr erfolgreich bei der Aktivierung des Stirnnetzwerks – einem Teil des Gehirns, das sich unter kontrollierten Bedingungen nur sehr schwer aktivieren läßt.

Um zu prüfen, ob die Verbindungen im Gehirn bei dieser Übung ihre Spuren in den Mustern hinterlassen, die in den ruhenden Hirnwellen entstanden sind, haben die Forscher fMRI-Scans an den ruhenden Testpersonen vor den Übungen, unmittelbar nach den Übungen und nochmals 24 Stunden später durchgeführt. Ihre Ergebnisse, die im Magazin Journal of Neuroscience erschienen, zeigten, dass die Aktivität bestimmter Gegenden im Cortex wirklich die ruhenden Gehirnwellenmuster rekonstruieren. Überraschenderweise blieben diese neuen Muster nicht nur am folgenden Tag bestehen sondern sie wurden sogar stärker sichtbar. Diese Beobachtungen entsprechen dem klassischen Lernprinzip, das Donald Hebb Mitte des 20. Jahrhunderts vorstellte, bei dem die Ko-Aktivierung von zwei miteinander verbundenen Nervenzellen zu einer lange anhaltenden Stärkung ihrer Verbindung führt, während die Aktivität, die nicht koordiniert ist, diese Verbindung schwächt. Die fMRI-Scans der ruhenden Hirnwellen zeigten, dass Gehirngegenden, die während der Übungen zusammen trainiert wurden, einen Anstieg in ihrer funktionellen Verbindung einen Tag nach der Übung aufwiesen, während die Gegenden, die in der Übung deaktiviert wurden, eine schwache funktionelle Verbindung zeigten.

Diese Forschungsarbeit suggeriert mehrere zukünftige Möglichkeiten zur Erforschung des Gehirns. Zum Beispiel könnten spontan auftretende Gehirnmuster als Aufzeichungswerkzeug zur Entdeckung kognitiver Ereignisse aus der unmittelbaren Vergangenheit des Individuums benutzt werden. Oder es könnte sich eine Art persönliches Profil aus dem spontan auftretenden Aktivitätsmuster enthüllen lassen, wobei die Fähigkeiten, Schwächen, Vorurteile, Lernfähigkeiten usw. hervorgehoben werden. "Heute entdecken wir zunehmend mehr gemeinsame Grundlagen in der Gehirnaktivität, aber wir haben es bisher nicht geschafft, die Unterschiede unter den einzelnen Individuen zu erklären," sagt Malach. "In Zukunft könnten spontane Gehirnmuster den Schlüssel für vorurteilslose individuelle Profile darstellen." Solche Profile könnten insbesondere bei der Diagnostizierung oder bei weiteren Erkenntnissen über Gehirnpathologien im Zusammenhang mit einer Vielfalt von kognitiven Störungen behilflich sein.
 

Prof. Rafi Malachs Forschungsarbeit wird finanziert von dem Nella and Leon Benoziyo Center for Neurosciences, dem Nella and Leon Benoziyo Center for Neurological Diseases, dem Carl and Micaela Einhorn-Dominic Brain Research Institute, dem Norman and Helen Asher Center for Human Brain Imaging, dem Murray H. And Meyer Grodetsky Center for Research of Higher Brain Functions, dem Kahn Family Research Center for Systems Biology of the Human Cell, von den Freunden von Dr. Lou Siminovitch, der Adelis Foundation und Mike und Valeria Rosenbloon über die Mike Rosenbloom Foundation. Prof. Malach hat die Helen-und-Martin-Kimmel-Auszeichnung für innovative Forschung erhalten und hält den Barbara-und-Morris-L.-Levinson-Lehrstuhl in Gehirnforschung inne.
 

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